Hamburg auf der Suche
2014. Eurokrise überwunden, die Wirtschaft brummt und Hamburg strebt nach den Olympischen Spielen. 2014. Krise in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten und Syrien und regelmäßig Berichte, wie vor der italienischen Küste Boote mit Flüchtlingen stranden.
Die Krisen diesen Jahres haben neue Flüchtlingsströme ausgelöst. Dank der seit 1951 geltenden Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, gibt es internationale Standards, die festlegen, wer Flüchtling ist und welche Rechte und Pflichten gewährt werden müssen. Darauf basierend stützt sich Europäisches und Deutsches Recht in Flüchtlingsfragen.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer sehen sich mit steigenden Flüchtlingszahlen konfrontiert. Länder an den Außengrenzen der EU sind zunehmend überfordert mit den steigenden Flüchtlingszahlen und eine zentrale europäische Koordinierung ist nicht in Sicht. Es gilt weiterhin das Prinzip, dass jeder Flüchtling dort sein Prüfverfahren bekommt, wo er zuerst aufgegriffen wurde. Und so kommt es zu hilflosen Aktionen, dass Länder wie Italien und Griechenland Flüchtlinge in andere Staaten weiterschicken.
Es zeigt sich: Das Problem beginnt auf Europäischer Ebene.
Aber auch auf lokaler Ebene in Deutschland zeigt sich, dass die Städte und Gemeinden mit den wachsenden Zahlen an Flüchtlingen immer schwerer zurechtkommen. So auch in Hamburg und den Bezirken der Stadt.
630 neue Flüchtlinge nimmt die Hansestadt pro Monat auf. Das Angebot an Wohnraum ist seit Jahren knapp und so sucht der Senat und die Verwaltung händeringend nach Lösungen, die Flüchtlinge menschenwürdig und sicher unterbringen zu können. Ist eine Notunterkunft errichtet beginnt die Suche von Neuem, um dem Ansturm zu begegnen. Aktuell stehen laut Senat bereits 28 weitere Standorte im gesamten Stadtgebiet fest.
In Eimsbüttel wurde dieses Jahr der ehemalige P&R–Parkplatz bei Hagenbeck in ein Containerdorf umgewandelt, um 200 Flüchtlingen eine Unterkunft bereitzustellen. Auch sollten 150 Plätze am Grandweg/An der Lohbek entstehen. Im Gespräch sind weiterhin Flächen am Hagendeel, an der Lokstedter Höhe und Holsteiner Chaussee. In den Behörden in Hamburg herrscht Zweckoptimismus in Anbetracht der Situation und den anstehenden Wintermonaten. Dazu gesellt sich die Aufgabe, die Stadtbevölkerung vor Ort über die Pläne zu informieren und beruhigend auf Sorgen und Ängste einzugehen.
Die von Wissenschaftlern oft geforderten kleinen Flüchtlingsunterkünfte, fair verteilt über alle Stadtteile, um die Integration in die Nachbarschaften möglichst einfach zu gestalten, können längst nicht mehr realisiert werden. Trotz überparteilicher Einigkeit eine gerechte und gleichmäßige Verteilung der Standorte über alle Stadtteile zu schaffen, zeigt sich, dass einige Stadtteile mehr leisten als andere.
So wie auf Europäischer Ebene scheint es auch in Hamburg an einem koordinierten Gesamtplan und einer ehrlichen Kommunikation zu fehlen. Anstatt dessen werden Fakten in Form von großen Erstunterkünften geschaffen, die durch den Senat nun per „Polizeirecht“ umgesetzt werden sollen. Dies erlaubt Verwaltungsverfahren bei „Gefahr im Verzug“ zu straffen. So können die Beteiligung der Bürger und Bezirke sowie Baugenehmigungen entfallen. Ganz verzichten will man auf die Bürgerbeteiligung allerdings nicht. Sie wird wohl nur geringer ausfallen.
Sowohl die Perspektive von Innen aus Sicht der Flüchtlinge, als auch die Perspektive von Außen aus Sicht der Bevölkerung auf Erstunterkünfte ist problematisch.
In den jeweiligen Unterkünften leben Menschen und Familien aus verschiedenen Ländern mit ihrer eigenen Fluchtgeschichte und traumatischen Erfahrung eng zusammen und warten auf ihren Bescheid. Wie viel ehrenamtliche und professionelle Hilfe braucht es, um so viele Menschen vor Ort vernünftig betreuen und integrieren zu können?
Aber auch der Blick von außen führt in der Nachbarschaft oft zu Sorgen und Fragen, was gerade vor sich geht. Eilig einberufene Informationsveranstaltungen sollten bisher Sorgen mildern und die Menschen sensibilisieren.
Selten gibt es den Versuch der Verwaltung, die Menschen aus den Unterkünften mit ihren Nachbarn zusammenzubringen und eine Verbindung zwischen ihnen zu schaffen. Wie sollen die Menschen sich begegnen, wenn solche Versuche ausbleiben? Auf der einen Seite werden die Flüchtlinge von der Behörde in einer Unterkunft untergebracht. Auf der anderen Seite informiert die Behörde lediglich die Nachbarschaft darüber, dass neue Flüchtlingsunterkünfte entstehen, aber ein Angebot an beide Seiten sich kennenzulernen fehlt.
Doch gerade im Moment des Miteinanders und der Begegnung entsteht Mitgefühl und Sympathie. Diese Arbeit nur ehrenamtlichen Helfern und der Eigeninitiative der Menschen in den Stadtteilen zu überlassen, zeugt von einem überpositiven Menschenbild. Die Erfahrung zeigt, dass es manchmal ein wenig Anschub von Außen braucht, um sich kennenzulernen.
Diese Aufgabe muss die Stadt gemeinsam mit ihren Bezirken anpacken. Denn dort, wo nur nebeneinander gelebt wird, kann keine Integration stattfinden. Wie soll der einzelne Flüchtling Deutsch lernen und sich in Hamburg zurechtfinden, wenn er mit 300 Menschen aus anderen Ländern auf engstem Raum lebt? Woher soll das Wissen kommen, was ein Hamburger Fischbrötchen oder Containerschiff ist?
Neben dem bloßen Bereitstellen von Unterkünften sollte es Aufgabe des Staates sein, die Flüchtlinge auf ein Leben in Deutschland vorzubereiten. Als anerkannter Flüchtling können sie nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren, da sie dort Verfolgung und Gefahr um Leib und Leben befürchten müssen. Der Staat muss Geld und Personal bereitstellen, um Angebote zu schaffen, Integration außerhalb von Deutschkursen möglich zu machen.
Es braucht daher nicht nur Unterkünfte, sondern eine umfassende Gesamtstrategie, die ambitioniert genug ist, allen gerecht zu werden. Bis diese gefunden ist, bleibt Hamburg auf der Suche und hangelt sich von Zwischenlösung zu Zwischenlösung.